Wappen des Freistaates SachsenEnine Finanzpolitische Initiative im Gewande eines “Kinder- und Jugendpolitischen Papiers”

Mit einem „Kinder- und Jugendpolitischen Papier“ macht der Sächsische Landkreistag auf strukturelle und finanzielle Probleme bei der Wahrnehmung der Aufgaben in der Jugendhilfe aufmerksam. In erster Linie mahnen die Landkreise ein stärkeres Engagement des Freistaates in den Landkreisen an, die sich offenbar zunehmend weniger in der Lage sehen, die finanzielle Last weitgehend allein zu schultern.

Tatsächlich liegt nach dem Willen des Gesetzgebers die Hauptverantwortung für die Jugendhilfe gemäß Sozialgesetzbuch VIII bei den Kommunen, die bei der Wahrnehmung der Aufgaben von den Ländern unterstützt werden. Der Bund konzentriert sich in der Regel auf Programme und Modellprojekte in der Jugendhilfe. Somit befinden sich die Gesetzgeber in Bund und Ländern durchaus in einer attraktiven Situation, sie können in der Jugendhilfe Angebote und Leistungen „bestellen“, die sie vorwiegend nicht selbst finanzieren müssen.

Ein zentraler Punkt der Forderungen der Landräte ist eine pauschalisierte und jährlich anwachsende Zuwendung des Freistaates Sachsen an die Landkreise für die Jugendhilfe außerhalb der regulären Zuwendungen des Landes. Die Landräte wünschen sich hier ein Budget, das 30 Prozent der Gesamtkosten der Jugendhilfe in den Landkreisen abdeckt. Vorgeschlagen wird eine Zusammenführung aller Landeszuwendungen in diesem Budget, also auch die Einbeziehung der Jugendpauschale, für die bislang eine Zweckbindung für die offene Kinder- und Jugendarbeit inklusive angrenzender Aufgaben besteht.

Was auf den ersten Blick nach einer vereinfachten und weniger bürokratischen Förderung des Landes aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Mogelpackung. Eine solche Pauschalzuwendung führt zu einer akuten Gefährdung der örtlichen Jugendarbeit. Die örtlichen Jugendämter sollen nämlich entsprechend den Vorschlägen der Landkreise selbst über die konkrete Verwendung der Pauschalzuwendung entscheiden können. Mit Blick auf die explodierenden und kaum noch zu stemmenden Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung (HzE), ist eine entsprechende Schwerpunktsetzung absehbar. Die Kreisjugendämter werden die Pauschale zum Stopfen von Löchern im HzE-Budget nutzen. Dies wiederum kann nur zu Lasten der präventiven Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit funktionieren, die derzeit durch die bisherige „Jugendpauschale“ eine zweckgebundene Förderung des Landes erhält, die von der Kommune zu gleichen Teilen mitfinanziert werden muss. Die Landkreise wünschen eine Verwendung der Mittel aus der Jugendpauschale für weitere „präventive Angebote“, was bei mutmaßlich gleichbleibendem Budget ebenfalls zu Einschränkungen in der Kinder- und Jugendarbeit führen dürfte. Hierzu zählen u. a. Angebote der so genannten „Frühen Hilfen“ und des Kinderschutzes. Gleichzeitig wird eine Unterwanderung des bislang geltenden Fachkräftegebotes gefordert, mit der die Beschäftigung von „nichtsozialpädagogischen Fachkräften“ in der Jugendarbeit ermöglicht werden soll. Ein Aufweichen des Fachkräftegebotes kann nicht im Interesse weder der Zielgruppen noch der Jugendhilfe sein. Hierzu ist anzumerken, dass es ggf. einer Überprüfung der Vergütungsstrukturen bedarf, wenn die Gewinnung von Fachkräften insbesondere im ländlichen Raum eine Schwierigkeit darstellt.

 

Ohne Zweifel bedeuten zahlreiche Förderrichtlinien zu unterschiedlichen Handlungsfeldern einen großen Aufwand, gleichzeitig sind diese Programme aber auch geeignet, bestimmten Angeboten eine spezifische Förderung zuteil werden zu lassen. Die Landkreise fordern nun eine Zusammenlegung von unterschiedlichen Beratungsangeboten wie etwa Familien-, Erziehungs-, Jugend-, Schwangerschaftskonflikt-, Schuldner- und Suchtberatung. Dieser Vorschlag zeugt von gründlicher Unkenntnis von der Praxis der aufgeführten Beratungsinstitutionen und es bedarf einiger Phantasie, sich ein solches „Beratungskombinat“ vorzustellen. Die Landräte ignorieren damit einerseits den komplexen individuellen Beratungsbedarf der Menschen und stellen die Notwendigkeit fachlicher Spezialisierungen in den vielfältigen Handlungsfeldern der Jugendhilfe in Frage. Die damit einhergehende Unterwanderung fachlicher Standards wird nicht zu der erhofften Effizienz der Beratungsstellen führen, sondern eher eine Steigerung des fachlichen und finanziellen Aufwandes nach sich ziehen. Diese Idee ist durchaus vergleichbar mit der Abschaffung von Spezialisierungen im Gesundheitswesen, indem man Therapien aller Art dem Hausarzt überlässt.

So mancher Aussage oder Idee des Jugendpolitischen Papiers der Landkreise sollte sich die Landespolitik jedoch nicht verschließen und in die Auseinandersetzung gehen. So wird der Schulsozialarbeit eine große Bedeutung beigemessen, die jedoch einer auskömmlichen und kontinuierlichen Finanzierung außerhalb der Jugendpauschale und außerhalb temporärer Förderprogramme bedarf. Gleichzeitig darf hier auch nochmals auf die Verantwortung des Kultusministeriums hingewiesen werden, die die Finanzierung der Schulsozialarbeit bisweilen dem Sozialministerium überlässt, obgleich die – durchaus zu hinterfragenden – Ziele der Schulsozialarbeit vornehmlich schulischen Zwecken dienen.

Das Papier kritisiert Regelungen aus dem Sächsischen Jugendhilfegesetz, die letztlich als finanzielle Last bei den Kommunen landen. So ist im Sächsischen Kitagesetz eine Reihe von Ermäßigungsmöglichkeiten für Elternbeiträge in Kindertageseinrichtungen verankert, die teilweise weit über die Regelungen des Sozialgesetzbuchs VIII hinausgehen. Die sächsischen Landräte regen hier eine Überprüfung der Regelungen an, da die finanzielle Last der Ermäßigungen und Erlässe ausschließlich bei den Kommunen hängen bleibt. So gibt es eine grundsätzliche Ermäßigung der Elternbeiträge für „Alleinerziehende“. Unabhängig davon, dass „Alleinerziehende“ im Gesetz nicht näher definiert sind, wird dieser Status mit eingeschränkter finanzieller Leistungsfähigkeit gleichgestellt. Auch wenn tatsächlich viele Alleinerziehende mit ihrem Budget bewusst haushalten müssen, so begünstigt diese Regelung doch auch gutverdienende Alleinerziehende ohne Vorliegen einer konkreten Notsituation, da der sächsische Gesetzgeber diese Ermäßigung einkommensunabhängig im Gesetz verankert hat. Gleiches gilt für den Geschwisterbonus, der ebenfalls unabhängig von der Höhe des Einkommens der Eltern zu gewähren ist.

Die Landkreise fordern eine Anpassung des Landeszuschusses für Kindertageseinrichtungen, der trotz gestiegener Betriebskosten seit Jahren in unveränderter Höhe an die Kommunen gezahlt wird. Somit verbleiben die Mehrausgaben für die unabwendbaren Kostensteigerungen bei den Kommunen. Gleiches gilt für die in den zurückliegenden zehn Jahren gestiegenen fachlichen und konzeptionellen Anforderungen an Kindertagesstätten in Folge der begrüßenswerten Umsetzung des sächsischen Bildungsplans, die ebenfalls mit einem größeren Finanzierungsaufwand verbunden sind.

 

Für die Sicherung der Zukunft der Jugendhilfe fordern die Landkreise eine Überprüfung und Aktualisierung der Ausbildungsinhalte in pädagogischen Berufen, damit die künftigen Fachkräfte den aktuellen sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen gewachsen sein können. Gleichzeitig wird ein Ausbau der gegenwärtigen Ausbildungskapazitäten in Verbindung mit einer besseren Ausstattung der Hoch- und Fachschulen gefordert.

Im Rahmen einer aktuellen Stunde in der Sitzung des sächsischen Landtags am 12.03.2014 zum Landkreispapier kam die Regierungskoalition in ihren Aussagen leider nicht über die Darlegung der Ausgaben für die Jugendhilfe und die Betonung erfolgreichen Agierens der Landesregierung hinaus. Patrick Schreiber (CDU) plädierte für eine Diskussion mit dem Bund über andere Finanzierungsmodelle für die Hilfen zur Erziehung und wies Forderungen zurück, dass der Freistaat die Defizite der nach SGB VIII zuständigen Kommunen ausgleichen muss. Annekatrin Kleppsch (Die Linke) forderte in der Debatte eine Überprüfung der Finanzierungsmodelle und mahnte ebenfalls eine stärkere Verantwortung des Bundes an.

Zur Notwendigkeit eines stärkeren Engagements des Bundes im Bereich der Kindertagesbetreuung äußert sich Prof. Dr. Stefan Sell (Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz) in einer Studie zur Finanzierung der Kindertagesbetreuung[1] in Deutschland. Die Studie eröffnet die Perspektive, dass insbesondere der Bund über die Steuereinnahmen und die Sozialversicherungsträger über die Beiträge von der Kindertagesbetreuung profitieren. Die Ermöglichung einer Berufstätigkeit von Eltern durch die vorwiegend von Kommunen und Ländern finanzierte Kindertagesbetreuung führt zu enormen Einnahmen des Bundes und der Sozialversicherung, die sich ihrerseits jedoch nicht an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung beteiligen. Sell schlägt die Bildung eines Fonds zur Finanzierung der Kindertagesbetreuung vor, in die alle Beteiligten bzw. Nutznießer der Kindertagesbetreuung einzahlen.

 

Das „Kinder- und Jugendpolitische Papier“ des Sächsischen Landkreistages stellt eine gute Grundlage für eine Diskussion zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen dar. Allerdings kann die mitunter einseitige Konzentration auf fiskalische Aspekte einer offensiven und konstruktiven Debatte zur auch fachlich-inhaltlichen Weiterentwicklung hinderlich sein. Nicht die vielfältigen Angebote einzelner Leistungsbereiche sind zu Gunsten der Finanzierung von so genannten Pflichtaufgaben in Frage zu stellen; vielmehr ist nach Lösungen zu suchen, wie diese Vielfalt im Interesse der jungen Menschen und Familien in Sachsen gesichert und weiterentwickelt werden kann. Letztlich begünstigt auch eine gute soziale Infrastruktur die Aufwachs- und Lebensbedingungen von Kindern, Jugendlichen und Familien im Freistaat.

 

Carsten Schöne
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Veröffentlicht in „CORAX – Magazin für Kinder- und Jugendarbeit“, Ausgabe 02/2014

 

 

[1] “Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen”, Prof. Dr. Stefan Sell, Oktober 2013“