Die mit großem Interesse erwartete Novelle des Sozialgesetzbuches VIII – Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) scheint auch in absehbarer Zeit nicht vom zuständigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vorgelegt zu werden.
Update 26.08.2016: Inzwischen wurde ein Arbeitsentwurf zum SGB VIII veröffentlicht – näheres hier.
Der „Spiegel“ hatte Mitte August berichtet, dass Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig derzeit keinen Gesetzesentwurf vorlegen werde, nachdem die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin, Hannelore Kraft, Kritik am zögerlichen Voranschreiten des Gesetzgebungsverfahrens geäußert hatte. Dass das Bundesland als Auslöser für die Verzögerungen herhalten soll, darf mit Blick auf das bislang fragwürdige Agieren des Bundesministeriums bezweifelt werden.
Die Überarbeitung des Gesetzes wird bereits seit geraumer Zeit diskutiert und war vom BMFSFJ für den Frühsommer 2016 in Aussicht gestellt worden. Entgegen der sonst üblichen Praxis sollte das Gesetz gleich als Kabinettsvorlage erscheinen und nach Beschlussfassung in Bundestag und Bundesrat zum 01.01.2017 zumindest schrittweise in Kraft treten. Diese Vorgehensweise würde die geübte Praxis der außerparlamentarischen Beteiligung von Interessen- und Sozialverbänden aushebeln, was in der jüngeren Vergangenheit bereits auf große Kritik stieß. So beklagte der „Vater des KJHG“, Prof. Dr. Reinhard Wiesner in einer Stellungnahme einen eklatanten Mangel an Transparenz, da de facto keine Beteiligung der Fachöffentlichkeit an der Entwicklung des Gesetzes vorgesehen ist. Wiesner vergleicht das Agieren des BMFSFJ mit den „Geheimverhandlungen um das TTIP-Abkommen“, das große Räume für Spekulationen eröffnet.
Nachdem einzelne Entwurfspapiere auf nicht nachvollziehbaren Wegen in die Öffentlichkeit gelangten, wurden erste Debatten und selbst Petitionen initiiert. Die ursprüngliche Begründung für Änderungsbedarf am SGB VIII war die Entwicklung der so genannten „großen Lösung“, die eine inklusive Beratung, Begleitung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung innerhalb der Jugendhilfe vorsieht. Tatsächlich lassen die bislang bekannten Texte vor allem den eigentlichen Anlass erkennen: die Drosselung der Kostenentwicklung in der Jugendhilfe. Hintergrund ist, dass die Mehrzahl der Kommunen unter der Last der finanziellen Aufwendungen für die Jugendhilfe stöhnt. Von einer Gesetzesnovelle verspricht man sich offenbar eine Änderung dieser Situation, die aber nur zu erreichen sein wird, wenn man bisherige Leistungen und Standards verringert. Die inklusive Lösung eines neuen SGB VIII wird, anders als vom BMFSFJ bislang vertreten, zu einer deutlichen Kostenerhöhung der Integrationsleistungen für junge Behinderte führen, da die Jugendhilfe nach anderen Verfahren, Konzepten und Standards arbeitet, als dies in der bislang zuständigen Sozialverwaltung üblich ist.
Auf Anfrage der CORAX – Redaktion teilte das BMFSFJ am 19.08.2016 schriftlich mit, dass es derzeit an einem Gesetzentwurf arbeite. „[…] weitere Details zum Zeitplan etc. kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht mitteilen“, so die Pressesprecherin des Ministeriums, Verena Herb. Somit bleiben also die Ungewissheit zum gesamten Gesetzgebungsprozess und die Hoffnung, dass sich das BMFSFJ doch noch an die sonst üblichen Beteiligungsverfahren erinnert und sich im Interesse eines guten und nachhaltigen Gesetzes auch auf Beteiligung einlässt. Länder und Kommunen müssen also auch weiterhin mit in ihren Planungen auf ein neues Gesetz warten, erste Konzeptideen in so manchem Jugendamt müssen auf Eis gelegt werden.
Carsten Schöne
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