Coverbild "Die Ausreißer"

© Goldmann Verlag, München; ISBN: 978-3-442-39185-1,

Eine Rezension des Buches “Die Ausreißer – der Weg zurück” von Thomas Sonnenburg und Simone Winkelmann
Goldmann Verlag, München; ISBN: 978-3-442-39185-1

Die Fernsehprogramme sind mittlerweile voll von Betroffenheitsformaten, die die Objektive der Kameras möglichst dicht auf das Elend von Menschen mit Benachteiligungen richten. Die Zielstellungen der Doku-Soaps sind nicht eindeutig erkennbar, offenbar lenkt die Darstellung von Einzelschicksalen recht gut von gesellschaftlichen Problemen ab. Dem Einzelnen kann in der Krise geholfen werden: “Schau mal, anderen geht es noch viel schlechter als dir!”.

Werden die Sendungen dann auch noch von jenen gemacht, die solch voyeuristischer Verfolgung Betroffener eigentlich entgegentreten sollten, muss schließlich eine Rechtfertigung herzu, die in einem Buch eine greifbare Form findet. Zu dieser Form griff nun auch Thomas Sonnenburg, der RTL-Streetworker, der in seinem Buch dem Fernsehformat in der Darstellungsweise von Einzelschicksalen treu bleibt. Das Buch gibt ihm anders als im Fernsehen Gelegenheit, am Ende der Einzelfalldarstellungen eine verallgemeinernde Zusammenfassung zu bringen, die der Leserschaft Hinweise zum Umgang mit solchen Situationen gibt. Wie er schreibt, gebe ihm das Buch Gelegenheit, sein eigenes Handeln zu hinterfragen. Dies gelingt ihm ansatzweise am Beispiel eines jungen Mannes, der unmittelbar nach Abschluss der “Staffel” den Suizid als Ausweg wählte. Viel stärker jedoch hinterfragt er andere als sich selbst, zum Beispiel Mitarbeitende in Therapieeinrichtungen oder Jugendämtern, die nicht bereits sind, zugunsten eines Millionenpublikums über ihren Schatten der Schweigepflicht zu springen.

Die ersten 40 Seiten dienen vor allem der Rechtfertigung Sonnenburgs, sich auf die Medien und ein solches Format einzulassen, außerdem lernen die Lesenden den Autor und seine private wie berufliche Entwicklung kennen. Wie er schreibt, will er mit den “Ausreißern” eine transparente Darstellung der Sozialarbeit erreichen und Einblicke in die vielseitigen Aufgaben und Methoden vermitteln. Das gelingt ihm allerdings sowohl im Buch wie auch im Fernsehen nur bedingt, da seine Rahmenbedingungen und auch Arbeitsweisen oft erheblich von der Realität und fachlichen Prinzipien abweichen. Im Buch führt er aus, dass unter keinen Umständen eine Bloßstellung und Gefährdung der begleiteten Jugendlichen passieren soll. Die Praxis schaut mitunter etwas anders aus: Da werden unbeteiligte Jugendliche – Freunde des Klienten – beim gemeinsamen Drogenkonsum gefilmt, während die Kamera mit Bildern vom Wohnhaus Ortskundigen eine Identifizierung ermöglicht. Außerdem beklagt Sonnenburg, dass Berufskolleg(inn)en erhebliche Vorbehalte gegen solche Medienformate haben und beschwert sich zugleich, dass ihm Jugendämter das Filmen von internen Fallberatungen verwehren. Letzteres natürlich nur zur Verschleierung unprofessionellen Handelns.
Ein Informationsteil am Ende des Buches mit zahlreichen Adressen zu Jugendämtern und Beratungsstellen soll den Zugang zu solchen Diensten erleichtern. Der Autor wirbt für das pädagogische Konzept der Straßensozialarbeit und hat doch im Adressteil zumindest für den Freistaat Sachsen nicht eine einzige Adresse eines der zahlreichen Streetworkprojekte parat.

Die Lektüre Sonnenburgs Buch trägt nicht zu einem besseren Verständnis des Sendeformats und der Sozialarbeit bei und dient auch nur in geringem Umfang der Aufklärung Betroffener bzw. der Öffentlichkeit. Vielmehr verstärkt sich ein Unbehagen gegen Sendeformat und Handeln des Sozialpädagogen Sonnenburg zugleich, der im Buch mit einer gewissen Penetranz immer wieder seine “Professionalität” in den Vordergrund stellt. Professionalität entsteht nicht durch die Zurschaustellung pädagogischen Handelns, sondern in diesem Kontext vor allem durch eine wertschätzende Arbeit mit den Jugendlichen, die Rücksicht auf deren Interessen und Privatsphäre nimmt. Ganz nebenbei entsteht noch ein Bild von Jugendhilfe, das eher einem therapeutischen Reisebüro gleicht, das Jugendliche mit Snowboardkursen in Österreich für die Heimkehr zu den Eltern gefügig macht.

Carsten Schöne
Veröffentlicht 2011 in CORAX – Magazin für Kinder- und Jugendarbeit in Sachsen (www.corax-magazin.de)