Foto: kein Geld in der Tasche

Mittels einer Anhörung von Expert*innen befasste sich der Jugendhilfeausschuss mit dem Themenkomplex der Kinderarmut. Hintergrund des Antrages der Linksfraktion war eine Sensibilisierung für das Thema mit dem Ziel, Armutsaspekte stärker in jugendhilfeplanerischen Prozessen zu berücksichtigen.

Dr. Ingo Blaich von der TU Dresden gab zunächst eine kurze Einführung in die Merkmale von Armutsstatistiken. In Deutschland wird Armut unterschiedlich definiert und gemessen. Eine häufig verwendete Methode ist die relative Einkommensarmut, die sich auf das Einkommen einer Person oder eines Haushalts im Vergleich zum Durchschnittseinkommen in der Gesellschaft bezieht. Die Definition der relativen Einkommensarmut basiert auf einem festgelegten Prozentsatz des Medianeinkommens. Ein gängiger Indikator für relative Einkommensarmut in Deutschland ist die Armutsgefährdungsquote. Diese bezieht sich auf Personen oder Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens verdienen. Die Armutsgrenze hingegen liegt bei 50 Prozent dieser Einkommenswerte. Während die Quote in Sachsen für bis zu 18jährige im Bundesdurchschnitt liegt, ist für die 18- bis 25jährigen ein deutlich erhöhter Wert zu konstatieren, der sächsische Wert liegt mit 39,3 Prozent etwa 14 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt.

Darüber hinaus werden auch andere Faktoren wie der Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohnraum und sozialer Teilhabe bei der Definition und Messung von Armut berücksichtigt. Hierbei werden unterschiedliche Ansätze und Indikatoren verwendet, um ein umfassenderes Bild von Armut zu erhalten, das sich nicht nur auf finanzielle Aspekte beschränkt, sondern auch soziale Ausgrenzung, mangelnde Chancen und Einschränkungen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben umfassen kann.

Die Autorin des autobiografischen Buches „Klassenbeste – wie Armut unsere Gesellschaft spaltet“, Marlen Hobrack, berichtete anschaulich aus ihren eigenen Armutserfahrungen, die neben den bürokratischen Hürden für die Erlangung sozialer Unterstützung vor allem von Schamgefühlen geprägt waren. So bedeute es immer wieder eine Überwindung, den Dresden-Pass zur Erlangung von Ermäßigungen in Museen oder im Schwimmbad vorzulegen und appellierte an die Schaffung von Möglichkeiten freier Zugänge zu Freizeit, Sport, Kultur und Bildung.

Dr. Martin Rudolph verwies auf alte Konzepte, die seit Jahrzehnten noch heute die Grundlage für Maßnahmen zur Armutsbekämpfung bieten, die stets den Fokus auf die Betroffenen, aber zu wenig auf die Gesellschaft richten. Auch Rudolph betonte, dass Sozialleistungen zwar gut und richtig sind, jedoch die Ermöglichung von Teilhabe durch alltagsrelevante Aktivitäten gleichwertig entwickelt werden muss.

In der anschließenden Diskussion wurden Aspekte und Möglichkeiten einer stärkeren Berücksichtigung von Armutslagen in Planung und Praxis der Jugendhilfe ausgetauscht.

Der Jugendhilfeausschuss gab mehrheitlich der Vorlage zur Fortschreibung des Kita-Fachplans seine Zustimmung, die auf Antrag von Carsten Schöne um zwei weitere Beschlusspunkte ergänzt wurde. Diese zusätzlichen Beschlusspunkte regeln einerseits den Verzicht auf Reduzierung der Kita-Ressourcen, die sich aus dem Rückgang der Kinderzahlen ergeben würden. Dies bedeutet ein Einfrieren der gegenwärtigen Ressourcen und die Verwendung der freiwerdenden Ressourcen für die Umsetzung des Konzeptes zur inklusiven Kindertagesbetreuung in Dresden. Außerdem wird der Oberbürgermeister beauftragt, mit dem Freistaat Sachsen zu verhandeln, dass auch dieser den Landeszuschuss auf Grund sinkender Kinderzahlen nicht absenkt und diese Mittel ebenfalls für die Umsetzung des o. g. Konzeptes zur Verfügung stellt. Kultusminister Christian Piwarz hatte erst kürzlich diese Möglichkeit öffentlich angeboten. Die abschließende Beschlussfassung liegt nun beim Stadtrat, es bleibt nun zu hoffen, dass der Rat diesen Impuls aus dem Jugendhilfeausschuss im Sinne einer qualitativen Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung in Dresden aufnimmt.

Außerdem wurde auch die Förderung von Zuschüssen für bauliche Maßnahmen und Anschaffungen in Kindertageseinrichtungen beschlossen, die Beschlussvorlage zur Schließung einer Kita in der Luboldtstraße fand ebenfalls eine Mehrheit. Die recht kleine Kita befindet sich in keinem guten Bauzustand, der frühere Träger hatte die Betreibung aufgegeben. Alle ursprünglich dort betreuten Kinder sind dem Kita-Alter entwachsen oder konnten an andere Einrichtungen vermittelt werden. Ein Ergänzungsantrag beauftragt den Oberbürgermeister zu einer Prüfung, ob das Objekt als Unterkunft für Geflüchtete genutzt werden kann.

Eine Beschlussvorlage zur Umsetzung von Ergebnissen aus einer Klausur des Jugendhilfeausschusses fand in veränderter Form die Zustimmung der Mehrzahl der Ausschussmitglieder. In dem Beschluss werden einzelne Aspekte der Jugendhilfeplanungsprozesse neu geregelt, hierzu zählt die Einbeziehung der Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII in die Beratungen der Unterausschüsse. Außerdem soll die Verwaltung künftig vier Wochen vor der Durchführung von Planungskonferenzen einen Entwurf eines Planungsberichtes als Diskussionsgrundlage zur Verfügung stellen.

Einem Antrag von Ausschussmitgliedern zur angepassten Förderung des Kinderladens „Domino“ der Kindervereinigung Dresden wurde ebenfalls mehrheitlich zugestimmt.

In der Informations- und Fragerunde informierte die Leiterin des Amtes für Kindertagesbetreuung, Sabine Bibas, über die bevorstehende Schließung einer Kita in Dresden-Kaditz. Erhebliche Bau- und Sicherheitsmängel in dem unsanierten Gebäude erfordern diese Maßnahme. Die Kinder können in einer anderen Kita betreut werden, in der nach der kürzlich abgeschlossenen Sanierung ausreichende Platzkapazitäten zur Verfügung stehen.

Die Verwaltung des Jugendamtes appellierte erneut an freie Träger, das Jugendamt bei der Aufnahme und Betreuung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger zu unterstützen. In den nächsten Monaten sei mit einem Anstieg der Zuwanderungszahlen zu rechnen, derzeit seien die jungen Menschen vorwiegend in der Altersgruppe 12 bis 14 Jahre.

Anja Stephan übte Kritik an polizeilichen Maßnahmen im unmittelbaren Umfeld von Kinder- und Jugendhäusern, wo verdachtsunabhängige Kontrollen stattfinden. Die Kommunikation und der Austausch zwischen Jugendhilfe und der Sonderkommission zur Jugendkriminalität bedürfe dringend einer Verbesserung.

Außerdem erkundigten sich Anja Stephan und Anett Dahl nach den Auswirkungen der kürzlich verhängten Haushaltssperre. Erst nach mehrfacher Nachfrage und ausbleibenden konkreten Antworten seitens des Jugendamtes erläuterte Oberbürgermeister Dirk Hilbert das Verfahren. Demnach seien grundsätzlich erst einmal alle verfügbaren Mittel gesperrt, ausgenommen hiervon sind kommunale Pflichtaufgaben und Investitionen. Die Ämter haben jedoch die Möglichkeit, einzelne Haushaltspositionen mittels Antrags freigeben zu lassen. Anja Stephan und Carsten Schöne forderten die Verwaltung des Jugendamtes dazu auf, die beschlossenen Fonds für die Finanzierung von Sachkosten sowie für die Ausbildungsvergütungen zur Freigabe zu beantragen, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und Trägern die Möglichkeit zu geben, Studierende mit Beginn des neuen Semesters aufzunehmen.

Die in 1. Lesung eingebrachte Vorlage zur Fortschreibung des Regionalen Gesamtkonzeptes für die Schulsozialarbeit führte zu einer Reihe von Wünschen zur Bereitstellung von Informationen. So braucht es einen aktuellen Überblick zum Anteil migrantischer Kinder und Jugendlicher in den Schulen. Außerdem wurde um Bereitstellung differenzierter Zahlen zur Situation in berufsbildenden Schulen gebeten, die entsprechend der Vorlage in das Ranking der Schulsozialarbeit aufgenommen werden sollen. Tina Siebeneicher kritisierte sowohl den Zeitpunkt wie auch den Inhalt der Beschlussvorlage. Es sei kaum möglich, noch vor Schuljahresende zu einem soliden Ergebnis zu kommen und viele der im Vorfeld vorgetragenen Aspekte zur Verankerung im Gesamtkonzept hätten keinen Eingang in das Papier gefunden. Der Jugendhilfeausschuss wird in einer Sondersitzung am 05.07.2023 über diese Vorlage zu befinden haben, zuvor befasst sich der Unterausschuss Planung hiermit.

Die Beratung des Antrages zur Einrichtung temporärer Spielstraßen wurde erneut vertagt.

Die nächste planmäßige Sitzung des Jugendhilfeausschusses findet nach der o. g. Sondersitzung am 24.08.2023 statt.

Hinweis: Die Informationen zu Beschlüssen stehen unter dem Vorbehalt der Erlangung der Rechtskraft der Beschlüsse. Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine persönliche Wiedergabe der Ausschusssitzung, die durch meine Mitgliedschaft in diesem Gremium durchaus subjektive Betrachtungen enthalten kann und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Ich bitte um Verständnis.

Carsten Schöne


1.Kontrolle der Niederschrift vom 27. April 2023
2.Expertenanhörung zum Thema Kinder- und Jugendarmut
3.Informationen/Fragestunde
4.Fortschreibung Fachplan Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege für das Schuljahr 2023/2024V2020/23
5.Schließung der städtischen Kindertageseinrichtung Luboldtstraße 18 in 01324 DresdenV2019/23
6.Vergabe Zuschüsse für bewegliche Sachen des Anlagevermögens und für bauliche Maßnahmen im Jahr 2023 an Träger der freien Jugendhilfe von Kindertageseinrichtungen (1. Förderrunde)V2137/23
7.Umsetzung von Ergebnissen der Klausur des Jugendhilfeausschusses zur JugendhilfeplanungV2023/23
8.Förderung des Angebotes „Kinderladen Domino des Trägers Kindervereinigung Dresden e. V.A0477/23
9.Anliegern Spielstraßen auf Zeit ermöglichen!A0364/22
10.Berichte aus den Unterausschüssen
11.Informationen (nicht öffentlich)
12. Regionales Gesamtkonzept zur Weiterentwicklung der Leistungsart Schulsozialarbeit in der Landeshauptstadt DresdenV2260/23 – 1. Lesung